Das nächste jahr wird sowieso viel besser als das letzte, genau wie letztes Jahr...nun ja. Zumindest gibt es wieder Ziele und Erstrebenswertes. Wir werden es erleben. Nun, falls wir den 22.12. erleben. Weltuntergang und so weiter.
Wir haben gelernt, dass das Wörtchen "klippo" selbst manchen Urberlinern unbekannt ist und diese Tatsache nichts daran ändert, dass eine Runde Realitätsklippo mal wieder dringend nötig ist....well, enjoy....
Weltenflüchter
Er lebte allein und wollte es eigentlich auch nicht anders.
Sein kleiner Süßwarenladen genügte, um ihn zu versorgen und er liebte seine
Arbeit, weil sie ruhig war.
Von Zeit zu Zeit
experimentierte er mit neuen Rezepten, um sein Pralinensortiment zu
erweitern. Dieser Teil seiner Arbeit gefiel ihm besonders.
Allein mit den Gewürzen und Geschmäckern dieser Welt erschuf
er neue Geschmäcker in alter Gestalt, um Menschen zu erfreuen, die er nicht
kannte, um ihre und natürlich zuerst seine Zunge auf Reisen zu schicken. Nicht
nur die Zunge, auch die Nase, mit verführerischen Düften von fremden Ländern
und versteckten Aromen, und die Augen, mit wie Rosenblätter geformten
Schokotäfelchen oder kleinen,
verschnörkelten Pralinentürmchen.
Wenn er dort in seiner Schokoladenküche stand und
experimentierte, ging er auf Reisen. Meist inspirierte ihn ein Buch, eine eben
gelesene Geschichte, ein Satz, ein Gedanke der nicht zu Ende gedacht war.
Er las viel, seine kleine Wohnung über dem Süßwarenladen war
überfüllt mit Büchern, alten und neuen. Das, was ihm diese Bücher gaben, gab er
den Menschen in Form von Süßwaren zurück. Träume, Sehnsüchte, unerfüllte
Wünsche.... all das steckte in seinen kleinen essbaren Kunstwerken. Deshalb
kamen die Menschen zu ihm, sie wussten, was es hier zu kaufen gab, waren keine
gewöhnlichen Pralinen.
Weil er auf Reisen ging, wenn er sie machte.Das war sein Geheimnis. Er mochte die Welt nicht, wie sie war. Mit so viel Dingen, die er nicht verstand, mit soviel Leid und Schmerz.
Deshalb machte er Schokolade, und zwar genau so, wie er sie
eben machte.
Eine Prise Zimt ließ ihn die Augen schließen und er fand
sich in einem orientalischen Märchenschloss wieder, umgeben von rotem Samt und
silberner Seide, in einer Bibliothek so groß, dass er nicht sehen konnte, wo
sie endete. Der ganze Boden war bedeckt von roten Samtkissen und silberne
Seidendecken, die zum liegen und lesen einluden. Es roch nach Zimt und Muskat,
nach Wissen, Weisheit und Neugier.
Der herbe Duft von Wissensdurst und Wünschen erinnerte ihn
an Walnuss. Er ging zu einem der vielen dunklen Holzregale und nahm sich ein in
weiches weißes Leder gebundenes Buch, in dem er zu lesen begann.
Er las von einer schönen Prinzessin, die einem gemeinen
König versprochen war, eine alte Geschichte, die schon oft erzählt wurde, und
doch immer wieder anders war. Er las von Flaschengeistern und unerfüllten
Wünschen, von Liebe und von Sehnsucht.
Dann fand er sich in seiner Schokoladenküche wieder und
begann, eine herbsüße Walnusspraline zu machen, die er mit einer leichten Note
von Muskat und Zimt versah.
Als er sie kostete, war er der arme Prinz, der die schöne
Prinzessin vor dem gemeinen König beschützte und ihr ewige Liebe versprach. Als
der Muskat seine Zunge berührte, tanzte er mit ihr durch die Sternennacht.
Am nächsten Morgen schloss er seinen Laden auf, ruhig und
freundlich wie immer. Und er bot seine neue Praline als Kostprobe an.
Ein kleines Mädchen betrat seinen Laden, er hatte es nie
zuvor gesehen. Ihre großen Augen erfassten jedes Detail seines Ladens und
blieben an ihm haften. Er fühlte sich durchschaut von diesen großen
Kinderaugen.
„Nimm mich mit, wenn du neue Schokolade machst“, sagte sie.
Er sah sie an. Sie hatte keine Scheu. „Ich mache meine Schokolade nachts. Das
wird deinen Eltern nicht gefallen, wenn du in der Nacht weg bist.“ Sie lächelte ihn nur an. „Ich habe keine
Eltern, niemand vermisst mich in der Nacht.“
Dem alten einsamen Weltenflüchter wurde warm ums Herz. Warum
sollte er das Mädchen nicht bei sich behalten? Eine Nacht, was konnte das schon
schaden? Er begann zu lächeln. Ein einsames kleines Mädchen und ein einsamer
alter Mann, wie in einer der Geschichten aus seinen Büchern. Warum also nicht?
„Wie heißt du,
Kleine? Wenn du bei mir bleiben willst, muss ich doch wissen, wie ich dich
rufen soll.“ Sie lächelte ihn glücklich
an. „ Sie rufen mich Luna, weil ich immer in der Nacht herumwandere wie der
Mond. Wie meine Eltern mich genannt haben weiß ich nicht.“
„Dann also Luna. Wir werden heute Nacht Schokolade machen
und Geschichten erleben. Aber erstmal müssen wir die Schokolade, die schon da
ist, verkaufen. Probier mal, was ich letzte Nacht gemacht habe.“
Luna probierte die Walnusspraline und schloss ihre großen,
seltsamen Kinderaugen. Als sie sie wieder öffnete, strahlte sie. „War es schön,
mit der unglücklichen Prinzessin zu tanzen?“ Er sah sie verblüfft an. „Woher
weißt du das?“
„Weil die Geschichte in deiner Schokolade steckt. Darum
bin ich hergekommen.“
Er beschloss, aufzuhören, sich zu wundern.
So verkauften sie den ganzen Tag zusammen Süßwaren. Wenn der
Laden leer war, lasen sie in einem großen, alten Märchenbuch.
Dann war es endlich Zeit, den Laden zu schließen und sie
konnten beginnen, Schokolade zu machen.
Der Weltenflüchter zeigte Luna alles, was er über Schokolade
und ihre Zutaten wusste.
Es bleib nicht bei dieser einen Nacht, denn Luna blieb bei
dem alten Weltenflüchter.
Seitdem fliehen sie Nacht für Nacht gemeinsam in ferne
Welten.